Die Geschichte von Urok und Kat

Urok war das älteste von acht Geschwistern. Er lebte zusammen mit seiner Mutter in einer kleinen Höhle in der Nähe des Dorfes. Sein Vater war einst der Häuptling, bis ihn Karnaag, der Schamane, töten lies, um selbst die Macht zu übernehmen.

Seit dieser Zeit waren er und seine Familie ausgestoßene. Als Urok war zwölf Jahre alt war, lag er oft in seinem Bett und träumte davon Karnaag zu töten, um seinen Vater zu rächen.
Karnaag schaarte derweil seine Krieger um sich und regierte das Dorf mit eiserner Hand. Durch seine Magie machte er sich seine Widersacher gefügig oder er ließ sie durch seine Wachen umbringen.

Das Verlangen nach Rache an Karnaag ließ Urok zu einem großen Krieger werden, von dem natürlich auch der Schamane hörte. Er versuchte ihn anzuwerben, doch Urok spuckte ihn nur an. Urok wusste, es würde nichts bringen Karnaag jetzt sofort den Hals umzudrehen – seine Bluthunde würden sich auf ihn stürzen und anschließend ihre Wut an seiner Familie auslassen. Karnaag ließ ihn auspeitschen und warnte davor, nicht noch einmal einen Fuß in „sein“ Dorf zu setzen.

Pahh! Urok verließ die Folterhöhle aufrecht und ohne Laut. Die Geißeln hatten ihn kaum verletzt, sein Stolz konnte nicht durch ein paar Sklaven – mehr waren die Schergen nicht für ihn – gebrochen werden.

Im Wald traf er auf seinen Großvater Darok. Er hatte ihn gelehrt so zu kämpfen, wie es in ihrer Familie Tradition war. Er sagte: „Setz Dich, Urok! Ich werde Dir eine Geschichte erzählen.“ Sie setzten sich und Darok begann:

„Vor langer Zeit war Gurdaan der Herrscher über dieses Volk. Er führte uns mit Weisheit und verteidigte uns mit ‚Khashklerash‘ seinem mächtigen Schwert. Er war bekannt im ganzen Land und überall, wo er auftauchte und seinen Zweihänder schwang, fielen die Feinde in Scharen. Doch Gurdaan ging in einer großen Schlacht mit den Elfen verloren und mit ihm Khashklerash. Geh, Urok! Finde Khashklerash bei den Elfen und kehre mit ihm zurück! Ich sehe, Du wirst Freunde finden, die Dich bei Deiner Heimkehr begleiten. Mit Ihnen wirst Du Karnaag und die Seinen aus Bakhind vertreiben und dem Elend ein Ende bereiten.“

„Warum hast Du mir das nicht schon früher erzählt?“, fragte Urok. „Ich musste sicher sein, daß nicht nur Deine Muskeln, sondern auch Dein Geist der Sache gewachsen sind. Nimm dies hier – es wird Dir nützlich sein“, meinte Darok und gab Urok einen kleinen, grauen Lederbeutel, der etwas wie Watte enthielt. „Und vergiss niemals: ‚Trugash olyasuk!'“ Mit diesen Worten drehte sich Darok um und war Augenblicke später verschwunden.

Urok betrachtete noch einige Sekunden den Beutel. Wie sollte ihm Watte nützlich sein? Er band den Beutel an seinen Gürtel und lief los. Seine Höhle lag auf dem Weg. Er packte seine Habe, darunter auch den alten Fellmantel seines Vaters, zusammen, erklärte seiner Mutter was er vor hatte und verabschiedete sich von seinen Brüdern und Schwestern.

Auf seiner Suche durchquerte er viele Länder, durchzechte viele Nächte und durchteilte viele Gegner… Doch diese Lieder sollen zu einer anderen Zeit gesungen werden.Urok fand heraus, daß ein Elf Namens Talibor Ährenfeld sein Schwert hatte. Doch wie er die Elfen kannte, würde er ihm sein Eigentum nicht ohne eine gewisse Zusprache zurückgeben. Also entschied sich Urok, der von ein paar Dieben klettern gelernt hatte, bei dem guten Herrn Elfen einzubrechen und Khashklerash aus seinem Exil zu befreien.

Es war eine mondlose Nacht, als Urok wie ein riesiger Schatten die Wand empor und über die Brüstung in das Anwesen des Herrn Talibor einstieg. Dem Haus nach zu urteilen war dieser Elf in seinem Dorf ein hohes Tier. Aber Wachen hatte Urok, während er das Haus beobachtet hatte, kaum gesehen. Also, kein Problem.

Er öffnete das angelehnte Fenster – ‚Wie leichtsinnig!‘ – und hüpfte beinahe lautlos in den Raum.

Es muss wohl eine Art Gästezimmer gewesen sein, jedenfalls waren im Raum ein großes Bett, Schränke und Truhen. Urok harrte in der Stille nach Geräuschen und damit sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Dann schlich er weiter.

Der Gang war genauso ruhig – anscheinend hatte niemand sein Kommen bemerkt. Urok entspannte sich ein wenig und ging weiter die Treppe herunter durch einen Gang bis zu einer schweren Tür. Er lauschte – kein Geräusch. Urok ölte noch einmal die Angeln und öffnete die Tür. Ohne zu knarren schwangen die schweren Flügel auf und gaben den Blick frei in einen großen Saal. In einer Ecke glimmte noch ein heruntergebranntes Kaminfeuer und schenkte genug Licht, um Urok den gesamten Raum sehen zu lassen. Beherrscht wurde das Zimmer von einer riesigen Tafel, an der gewiss 50 Menschen – oder Elfen – Platz fanden. Am Kopfende stand ein Sessel, der in orkischen Königreichen gut und gerne als Thron durchgegangen wäre. Darüber an der Wand hing es, ‚Khashklerash‘, wie eine Jagdprämie in Holz eingefasst.

Urok war am Ziel! Vorsichtig durchquerte er den Raum und erreichte die Wand. Er prüfte das Schwert nach Fallen. Nachdem er nichts finden konnte, griff er zu. Das Schwert löste sich unter Uroks Griff von seinen Fesseln und lag dann schwer in des Orks Hand.

Uroks Augen leuchteten, als er den glänzenden Stahl berührte.
Endlich war es soweit !
Jetzt konnte er wieder nach Hause ziehen und sein Volk befreien. Auf dem Heimweg, so hoffte er, werde er schon die prophezeiten Freunde finden. Und wenn nicht, auch egal! Mit ‚Khashklerashs‘ Macht würde er Karnaag vernichten.

Er verstaute das Schwert und drehte sich um – das heißt er versuchte sich umzudrehen. Urok war wie am Boden festgewachsen. Als er nach unten blickte, sah er, dass aus den Dielen Ranken gewachsen waren, die seine Beine umwickelt hatten. Er versuchte sich los zu reißen, aber da war nichts zu machen. Die daumendicken Äste hatten sich schon zu fest um seine Waden gewickelt.

„So, so, ein Ork versucht mich zu bestehlen!“

Bei den Worten riss Urok den Kopf nach oben und sah in die Gesichter von zehn Elfen. Neun von ihnen hatten Bögen auf ihn gerichtet und der zehnte grinste ihn so selbstgefällig an, wie es nur Elfen können. Urok überlegte Khashklerash zu ziehen und sich den Spitzohren zu stellen. Aber er erkannte, dass seine Chancen auf einen Sieg sehr, sehr gering waren. Also legte er seine Waffen ab.

Der Elf nahm Khashklerash und hängte das Schwert wieder an die Wand. Dabei kam er Urok so nahe, dass er ihn ohne Schwierigkeiten erreichen konnte. Waren die Elfen wirklich so dumm, wie es immer behauptet wurde? Urok packte zu. Er riss den Elf vor sich – sollten die Wachen doch ruhig schießen! Er hatte ihn im Schwitzkasten. „Legt eure Bögen nieder oder euer Chef ist tot!“, brüllte er die Wächter an und in seiner Stimme lagen der Zorn von Jahrhunderten und die Macht seiner Ahnen.

Die Soldaten waren deutlich verunsichert. Die meisten von ihnen ließen vor Schreck und Furcht, wohl mehr aus Angst um sich als um ihren Herrn, ihre Bögen sinken. Nur der Herr selber lachte Urok aus und sagte „Morgen wirst Du Deinen letzten Sonnenaufgang sehen.“ Urok war verblüfft, wie Ährenfeld in seiner Lage noch scherzen konnte, doch dann wurde ihm schlagartig schwindelig und er fiel in einen tiefen Schlaf.

„…Ork! Hey, Großer!“

Eine liebliche Stimme weckte Urok aus einem traumlosen Schlaf. Er öffnete die Augen und blickte sich um. Urok lag in einer kleinen Zelle mit einer Pritsche und Gittern anstelle einer Tür. Hinter den Gitterstäben stand eine zierliche Menschenfrau. Ihr schlanker Körper war in schwarzes Leder gehüllt, das ihre Formen noch mehr zur Geltung brachte. Schwarzes Haar floss über ihre Schultern und schien dabei den Raum noch mehr in Schatten zu legen.

„Na, Großer, ausgeschlafen?“ Urok riss seinen Blick los. Sollte dieses schöne Wesen sein Scharfrichter sein? „Was tust Du hier?“, fragte sie mit einer warmen Stimme. „Der Frage nach bist Du nicht hier um mich zu töten und Du bist auch kein Elf – also könnte ich Dich dasselbe fragen.“ Der Raum hatte keine Fenster und Urok wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. „Sicher könntest Du das, Ork, aber ich sitze nicht hinter Gittern. Also denke ich, daß meine Ausgangslage besser ist.“, meinte sie und grinste dabei frech. „Außerdem muss es doch einen Grund haben, warum mitten in der Nacht Vorbereitungen für eine Hinrichtung getroffen werden. Ich habe eine Geschichte gehört, in der von einem Mörder gesprochen wurde, der den Kanzler umgebracht haben soll. Da Du hier der einzige Gefangene bist, denke ich, ich weiß wer da vor mir sitzt.“

„Wann soll das gewesen sein?“, fragte Urok. Die Frau lächelte. „Du leidest wohl an Gedächtnisverlust? Kein Wunder bei dem Kopf.“ „Bitte, erzähl mir was Du weißt.“ „Nun“, meinte Sie und macht es sich im Schneidersitz vor der Zelle gemütlich, „Ich habe gehört, dass sich gestern ein ziemlich großer Meuchelmörder in die Gemächer des Kanzlers eingeschlichen und ihn mit einem vergifteten Messer im Schlaf umgebracht haben soll. Auf seiner Flucht wurde er dann von den Wachen und dem Berater des Kanzlers aufgegriffen und eingesperrt. Morgen früh soll er gehängt werden.“

„Sehe ich so aus als würde ich irgendwelche Kanzler mit einem DOLCH umbringen? Hilf mir hier heraus und ich werde es Dir mit gleicher Münze vergelten.“ „Wieso sollte ich das tun? Was kannst Du mir schon geben?“, fragte sie und ließ dabei Ihren Blick prüfend über Uroks Körper wandern. Urok stand auf, klopfte sich mit der Faust auf die Brust und sagte: “ Ich werde dich beschützen bis meine Schuld bei Dir beglichen ist. Und sollte ich bei dem Versuch sterben, werden mich meine Ahnen mit Stolz in ihre Reihen aufnehmen.“ Sie grinste. „Na schön, ich wollte schon immer einen Ork haben.“

Geschmeidig stand sie auf und schlenderte zu der Zelle in der Urok stand, seine Hand immer noch an seiner Brust. Geschickt machte sie sich an dem Schloss zu schaffen und öffnete die Tür. Sie verbeugte sich elegant und begrüßte Urok in der Freiheit. „Übrigens, ich heiße Kat“, säuselte sie. „Ich bin Urok. Ist das hier das Haus dieses Beraterelfen?“ „Ja, wieso? Komm jetzt, wir haben hier schon genug Zeit vertrödelt.“ „Noch nicht!“, meinte Urok und seine Augen funkelten, „Ich habe hier noch eine Rechnung offen. Wir müssen noch mein Schwert holen!“ Kat verdrehte die Augen, folgte dann aber Urok, der schon voraus gelaufen war.

Als sie die Treppe halb erklommen hatten, übernahm Kat die Führung. So kamen sie ohne Zwischenfälle zur großen Halle. Kat lauschte an der Tür, es war still. Sie öffneten die Tür, die Halle lag genau so leer und friedlich da wie gestern – auch das Schwert hing an seinem Platz. Sie durchquerten die Halle, bis zum Kopfplatz. Kat untersuchte den Sockel und das Schwert auf Fallen, nahm die Klinge und gab sie Urok. „So, können wir jetzt endlich gehen?“ „Gleich!“, raunzte Urok, „Ein Punkt ist noch auf meiner Liste! Wo schläft dieser Elf?“ Kat rollte mit den Augen. „Komm mit.“ Sie huschten zurück. Am Treppenabsatz bemerkte Urok zwei liegende Gestalten, verwundert blickte er zu Kat. Sie zwinkerte ihm zu und hauchte: „Die Waffen einer Frau.“

Kaum hatte sie die Worte gesprochen war sie auch schon auf der Treppe, und Urok hatte Mühen ihr leise zu folgen. Oben angekommen hielt sie inne und deute Urok zu warten. Sie verschwand in der Dunkelheit. Urok lauschte und wurde mit einem unterdrückten Stöhnen und einem Plumpsen belohnt, als ob ein Sack Mehl abgestellt wird. Da war Kat auch schon wieder bei ihm und bedeutete ihm zu folgen. Sie hielt vor einer Tür und flüsterte: „Hier schläft der Elf, aber beeil Dich!“ „Ok“, brummte Urok, „wir nehmen sein Fenster um zu fliehen.“
Der Elf lag auf seinem Bett und schlief. Urok näherte sich leise, Khashklerash zum Schlag bereit. Er trat an das Bett und sagte leise: „Talibor, ich denke Du wirst morgen nicht der neue Kanzler werden.“ Der Elf öffnete verschlafen die Augen. Er blickte in das breite Grinsen eines riesigen Orks mit einem ebenso riesigen Schwert.

Der Schreck vertrieb den Schlaf. Ährenfeld öffnete den Mund und schrie:“ Gn…“ Khashklerash schnitt durch Elf und Matratze und blieb im Bettkasten stecken.

Urok zog das Schwert mit einem Ruck heraus und brummte: „Keine Gnade!“

Er öffnete das Fenster und winkte Kat, die wegen des Krachs hereingekommen war, zu sich. Als sie durch das Fenster hinaus in die Nacht kletterten, drehte sich Kat zu Urok um und lächelte ihn an.
„Wir sollte diesen Ort möglichst schnell verlassen, oder hast Du noch etwas auf Deiner Liste?“
Urok grinste zurück und beide verschwanden in der Dunkelheit.